Montag, 14. Mai 2012

Muttertag / Sonntag, den 13.05.2012


An meine Mutter

Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zähe;
Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich's sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
In deiner selig süßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.
Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?

Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
So manche Tat, die dir das Herz betrübet?
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?

 An meine Mutter
Heinrich Heine (1797-1856)





Dienstag, 1. Mai 2012

Mai!

Der Winter ist vergangen,
ich seh den Maienschein.
Ich sehe die Blümlein prangen,
des ist mein Herz erfreut.
*
So fern in jenem Tale,
da ist gar lustig sein,
da singt Frau Nachtigalle
 und manch`Waldvögelein.
*
Ich gehe einen Mai zu hauen,
hin durch das grüne Gras.
Schenk meinem Buhl die Treue,
 die mir, die Liebste was
*
und bitte, daß sie mag kommen
all an dem Fenster stahn.
Empfangen den Mai mit Blumen,
er ist gar wohlgetan.
 
Ein altes Kinderlied aus Weimarer Handschrift.